Parastou Forouhar, Hubert Salden

Katalog der 2. BERLIN BIENNALE

Als ich vor zehn Jahren nach Deutschland kam, war ich Parastou Forouhar. Aber im Laufe meines Studiums an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, in der Zusammenarbeit mit Künstlerkollegen und in der Bestimmung des eigenen künstlerischen Territoriums wurde ich immer mehr zu der “Perserin”

Andere Künstlerinnen haben dem westlichen Kunstgeschehen die Topoi orientalischer Kunst zur Vereinnahmung oder zum Konsum angeboten. Im Gegensatz dazu vertraut Parastou Forouhar eher der Scharade als Erkenntnismittel. Sie verformt die in der eigenen Kultur vorgefundenen bildnerischen Elemente und rückt die Klischees, darunter die Kalligraphie oder das Musterhafte, aus dem gewohnten Zusammenhang, verkehrt ihre Bezüge. Durch die künstlerische Verlagerung und Deplazierung interpretiert sie die bildnerischen Elemente neu, transferiert und erweitert deren Bedeutung. Der hartnäckige Erkenntnisdrang gibt den Blick frei auf eine subtile Komik.

In der künstlerischen Arbeit erhebt sich die Frage nach Identität in verschiedenen gesellschaftlichen Zusammenhängen. Ihr Lachen und Weinen, eine Handbewegung, die Art und Weise zu reden, finden bei Parastou Forouhar im Orient und in Europa verschieden statt. Die Kulturen haben unterschiedlich empfundene Wahrnehmungsschwerpunkte und Erkenntnisstrukturen. Übersetzungen können wie bei unterschiedlichen Sprachen nur annähernd verdeutlichen. Je größer die Kluft zwischen den Kulturen, desto größer und wirksamer ist der Schatten, den die eine Kultur sowohl über die alltäglichen als auch die großen Fragestellungen der anderen Kultur wirft.

Eine Fotoarbeit wie Haare, die mit Phyllis Kiehl entstanden ist, legt ein konstruktives und von Sympathie geprägtes Miteinander der orientalischen mit den westlichen Kulturen nahe. Eine Reihe von Wandmalereien und Computergrafiken gehen von der Erinnerung an Persien, ihre dortigen Aufenthalte und dann ihrem Leben in einer westlichen Gesellschaft aus. Von diesen beiden kulturellen Bereichen bewegt, bereichert sie die Elemente der einen durch die andere. So konnte in ihrer künstlerischen Arbeit eine Ingredienz entstehen, die auf Persisch rendi genannt wird, die weise Schelmerei.

Die Kunst manifestiert sich bei ihr als eine Geste der Veröffentlichung. Die formale Seite der atmosphärischen Arbeit mit persischen Schriftzeichen ist mit ihrem künstlerisch aufgefaßten Aktivismus gekoppelt. Ihre Biographie erfuhr einen Einschnitt, als ihre Eltern in Teheran einem politisch rituellen Mord zum Opfer fielen. Der Text Persönliche Chronik der Ermordung unserer Eltern arbeitet mit dokumentarischen Mitteln im Kunstkontext. In einem Ausstellungsraum hat sie für eine Installation Materialien verwendet, die die Ahndung politischer Verbrechen vorantreiben und die Demokratiebewegung im Iran fördern sollen. Die Kalligraphie als Prozeß der Unterscheidung und der Kommunikation verbindet sie mit ihrem politisch engagierten Schreiben und Sprechen.

Die Buchstaben, Silben und Worte haben einen konzentrierten Duktus. Manchmal tauchen sehr kurze Satzteile auf. Sie wirken auf die räumliche Wahrnehmung der Betrachter. Neben ihrer architektonischen Wirkung erscheint die Kalligraphie auch als orientalisches Zeichen und Muster, Schmuck-  und Erinnerungsform. Das geschieht beiläufig. Die westlichen Bilderwartungen von Konsum bleiben außer acht. Dadurch entsteht auch ein konstruktiver Kommentar zu Werken westlicher Künstler. Ihre bildnerische Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen überschreitet Parastou Forouhar durch ein Moment der Schönheit mit Denkstrategien der kritischen Distanz. Die von ihr ornamental aufgefasste persische Schönschrift strebt den Leerräumen als Felder der Freiheit zu und webt diese in die Schrift hinein.
Ihre kalligraphischen Kioske artikulieren Differenz einerseits zur gebauten Architektur, andererseits wenden sie sich gegen die lebensfeindlichen gesellschaftliche Bestrebungen. Die sich darin spiegelnde künstlerische Haltung begreift die Ästhetik als eine Denk- und Lebensweise, die das gesamte Leben umkreist. Für Parastou Forouhar sind die unterschiedlichen Wahrnehmungen in den Kulturen ihrer Lebensräume mit zerborstenen Spiegelteilen vergleichbar. Die von ihr zusammengefügten Bruchstücke ergeben Bilder der Spannung und Verzerrung, aber auch der komplementären ornamentalen Ordnung von Orient und Okzident.
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